Zeitreise Campus Galli

Der Regen prasselt nun schon seit mehr als zwei Stunden ununterbrochen auf die Dachplane der Korbmacherei. Zu sechst sitzen wir auf den beiden hölzernen Sitzbänken vor der kleinen Feuerstelle und wickeln uns in unsere wärmenden Wollumhänge. Nur Magga, dem Korbmacher, scheint der Regen und die niedrigen Temperaturen nichts auszumachen. Seit den ersten Tagen ist er beim Projekt Campus Galli dabei und hat seit 2013 die Zeit zwischen April und Oktober an der frischen Luft verbracht. Die Kälte und den Dauerregen findet er gar nicht so schlimm, doch die Hitze im Sommer macht ihm manchmal zu schaffen. Für die Besucherzahlen auf dem Campus ist schlechtes Wetter im schwäbischen Meßkirch allerdings pures Gift. Außer einem Pärchen aus der Schweiz und einer Reisegruppe aus Norddeutschland hat sich heute kaum ein Besucher auf die mittelalterliche Baustelle verirrt.




Im Rahmen verschiedener Fördermaßnahmen von Stadt, Land und EU konnten die ersten Mittel für den Bau der karolingischen Klosterstadt bereitgestellt werden. Langfristig muss sich das ehrgeizige Projekt allerdings durch eigene Einnahmen finanzieren. Neben zahlenden Besuchern ist Campus Galli daher auch auf die Hilfe der zahlreichen ehrenamtlichen Helfer und freiwilligen Mitarbeiter angewiesen. Beim Schmied auszuhelfen, war mein ehrgeiziges Ziel, als ich voller Begeisterung die Online-Anmeldung ausfüllte. Bilder von glühendem Stahl, der mit geschickten Hammerschlägen zu glänzenden Schwertern und Rüstungen geformt wird, schwebten dabei vor meinem geistigen Auge. Dass die Schmiede momentan geschlossen ist und erst eine komplett neue Dachkonstruktion gebaut werden muss, ließ die Träume vom ruhmreichen Waffenschmied ziemlich schnell platzen.

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Der mittelalterliche Steinmetz braucht Ausdauer und handwerkliches Geschick

Eine grob gewebte Leinenhose, eine Tunika mit Schnur als Gürtel, sowie ein Wollumhang und eine Wollmütze werden meine Arbeitsbekleidung für die nächste Woche sein. Alles was an modernere Zeiten erinnert, bleibt in der Umkleidekabine im Mitarbeiterbereich. Selbstverständlich gehören dazu auch Uhren, Schmuck, Smartphones oder Trinkflaschen. Eine wärmende Schicht Funktionsunterwäsche unter meiner Mittelalterkluft ist zum Glück erlaubt, wenn sie von außen nicht zu sehen ist. Dass es nicht die beste Idee war, meine Arbeitsschuhe online zu kaufen, ist ziemlich schnell klar. Sie sind leider eine Nummer zu groß und sehen aus wie schwarze Clownsschuhe. Ohne die Stahlkappen geht auf der mittelalterlichen Baustelle allerdings gar nichts – und das ist auch gut so. Sicherheit wird zwar in allen Bereichen groß geschrieben, aber beim Hantieren mit Baumstämmen, Steinen, Brettern, Äxten und Hacken könnte der unerfahrene und unvorsichtige Bauarbeiter schon den einen oder anderen Zeh verlieren.

 

Campus Galli ist der Versuch den St. Gallener Klosterplan aus dem frühen 9. Jahrhundert mit Mitteln aus dem frühen Mittelalter zum Leben zu erwecken. Ein paar grundsätzliche Schwierigkeiten werden dabei schnell klar, denn zum einen fehlt die gesamte mittelalterliche Infrastruktur und zum anderen gibt es eine Menge neuzeitlicher Regeln und Vorschriften, die es auch für mittelalterliche Baustellen zu beachten gilt. So kommt es auch, dass wir für die Feldhütte ein Arbeitsgerüst aus Baumstämmen aufbauen, das so stabil ist, dass zwanzig Leute gleichzeitig darauf rumklettern können. Es soll dazu dienen, das Dach der Hütte neu mit Stroh einzudecken. Im Mittelalter hätte man für die selbe Aufgabe vermutlich eine lange Leiter genommen und an der Dachkante angelehnt. Aber wir sind eben nicht mehr im Mittelalter und auch nicht so routinierte und unerschrockene Leiterkletterer, wie unsere Vorfahren. Fast alle Werkzeuge, die auf der Baustelle zum Einsatz kommen, sind nicht auf dem Campus produziert, sondern zugekauft. Der doppelte Zaun am Schweinestall mit seinen speziellen Vorgaben, richtet sich nach den EU Vorschriften zur modernen Tierhaltung – Mittelalterprojekt hin oder her – ein gesunde Mischung aus sinnvoll, machbar und unverzichtbar ist für die Umsetzung der kleineren und Kleinstbaustellen auf dem Campus entscheidend.

Letzten Endes spielt es für die Idee der mittelalterlichen Baustelle auch keine große Rolle, ob der Hammer nun auf dem Campus geschmiedet wurde oder ein Hammer zugekauft wurde, der dem Werkzeug der Zeit entspricht. Leider können die Arbeiter der Klosterbaustelle nicht zum mittelalterlichen Schmied nach Sigmaringen fahren und dort ihren Hammer kaufen. Und so verhält es sich nicht nur mit allen Werkzeugen und Baumaterialien, sondern auch mit den Tieren und Pflanzen in der Landwirtschaft. Um die Landschaft in einen Zustand zu versetzen, in dem hauptsächlich ähnliche Arten, wie im 9. Jahrhundert wachsen, werden vermutlich mehr als die geplante Gesamtbauzeit von 40 Jahren vergehen.

 

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Die Holzkirche Anfang 2016 - noch ohne Dach



Über die Werkzeuge und Kleidung der damaligen Zeit, finden Historiker viele brauchbare Hinweise. Schwieriger wird es bei Arbeitstechniken und der entsprechenden Bearbeitung der Rohstoffe. Und genau darin liegt auch die Herausforderung für Drechsler, Korbmacher, Steinmetz, Zimmerer und Schindelmacher.

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Jeder Balken und jedes Brett sind 100% Handarbeit

Während er das Holz mit seinem Schindeleisen derart routiniert spaltet, als hätte er seit seinem fünfzehnten Lebensjahr nie etwas anderes gemacht, erklärt er den neugierigen Besuchern sein Handwerk und seine Werkstatt. Wie viele Schindeln für das Holzdach der Kirche benötigt werden, wie viele er bereits gefertigt hat und wie viele noch zu machen sind – es sind immer wieder die gleichen Fragen, die der Schindelmacher mit seinen ruhigen und sachlichen Antworten erklärt. An Tagen mit vielen Besuchern ist er so mehr mit Erklärungen beschäftigt, als mit der Herstellung von Schindeln. Aber Campus Galli ist eben ein „mittendrin eintauchen“ und kein Freilichtmuseum mit ein paar Häusern. Natürlich ist Jürgen kein echter Mensch aus dem Mittelalter und er stellt auch nicht schon sein ganzes Leben Holzschindeln her. Sein gekonntes Auftreten und der passende Rahmen verleihen ihm aber tatsächlich die nötige Glaubwürdigkeit, um die Zeitreise ins 9. Jahrhundert perfekt zu machen. So lässt sich der Schindelmacher nie aus der Ruhe bringen und erklärt die Fragen zu seinen Werkzeugen und Techniken auch beim hundertsten Mal mit der selben Mischung aus Geduld, Sachverstand und Entertainment: „Nein, das Schindeleisen ist nicht selbst geschmiedet. Es ist aber entsprechenden Fundstücken aus der Zeit nachempfunden.“, „Nein der Hammer ist nicht aus Kunststoff. Er ist aus Rinderhaut, so wie es damals üblich war.“

 

Für den Besucher sind die einzelnen Stationen und Werkstätten im Campus Galli eine faszinierende Zeitreise. Erst nach einigen Tagen in der kleinen mittelalterlichen Stadt entdeckt man allerdings, wie vielschichtig verzahnt die einzelnen Elemente und Arbeitsschritte sind. Die Holzkirche ist derzeit das größte Gebäude auf dem Campus. Jede einzelne der etwa 16.000 Schindeln auf ihrem Dach wurde von Jürgen und seinen Helfern von Hand gefertigt. Die dafür benötigten Baumstämme wurden von Hand gefällt, geschält, in passende Scheiben zersägt und transportiert. Und da sich die Ochsen noch nicht so richtig mit ihrer neuen Rolle als Zugtier anfreunden konnten, erfolgte sogar der Transport zur Schindelmacherei mit dem Handkarren. Damit ist das Dach aber noch lange nicht gedeckt. Beim Dachstuhl und den Dachlatten hatten die Zimmerleute der Baustelle schon ganze Arbeit geleistet. Der Schmied, der die zig tausend Nägel dafür schmieden sollte, hatte allerdings mit technischen Schwierigkeiten zu kämpfen. Ein undichtes Dach bedeutet in diesem Fall – keine Nägel. Und da man bei Campus Galli nicht zum nächsten Baumarkt fahren kann, um Nägel wie im 9. Jahrhundert zu kaufen, verzögert sich so mancher Zeitplan.

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Die neue Schmiede arbeitet auf Hochtouren

 Die Zeit, in der wir uns bei Magga am Feuer wärmen, sollte eigentlich für den Transport zusätzlicher Baumaterialien dienen. Das Zauberwort heißt Entschleunigung. Geht es heute nicht, geht es eben morgen. Geht es morgen auch nicht, machen wir es eben an einem anderen Tag. Diese Gelassenheit scheint alle Mitarbeiter zu vereinen, die bereits längere Zeit auf dem Campus arbeiten. Ambitionierte freiwillige Helfer, die am liebsten fünf Schwerter am Tag geschmiedet hätten, lernen schnell – hier ticken die Uhren ganz anders.

 


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Reger Besuch beim Schindelmacher
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Über 16000 Schindeln benötigt die Kirche
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Die Arbeit geht nie aus



Neben dem Sonnenstand, ist der Klangbalken die einzige zuverlässige Zeitangabe. Er wird morgens, mittags und zum Feierabend geschlagen und ist in jedem entfernten Winkel des Geländes zu hören. In den letzten Tagen verging die Zeit bis zum Mittag immer im Flug und war gefüllt mit vielen kleinen und teilweise auch sehr anstrengenden Aufgaben, wie Baumstämme transportieren, Löcher graben und sägen. Heute will die Zeit dafür gar nicht vergehen. Wenigstens brennt das Feuer und das Dach ist dicht.

Ein Jahr später bin ich wieder auf dem Campus. Bei gutem Wetter und nur für zwei Stunden als Besucher. Die Fortschritte in den einzelnen Bauabschnitten sind beachtlich und wenn man nachvollziehen kann, wie viele einzelne Schritte für jedes Dach und jede Wand nötig sind, werden sie noch beeindruckender. Auch für die Besucher wird der Campus durch mehr Informationen, Führungen, Kutschfahrten und mittelalterliche Gastronomie immer attraktiver. Es ist Sommerfest und heute werden die wenigsten Mitarbeiter wirklich zum Arbeiten kommen. So viele Besucher, so viele Fragen. Alles ist auf mittelalterlichen Hochglanz poliert. In der Schmiede sprühen die Funken. Die Altarplatten, die Jens über Monate mit Hammer und Meißel bearbeitet hatte, wirken so perfekt in der Holzkirche, dass man sich nur schwer vorstellen kann, wie viel Schweiß und Geduld nötig sein muss, um eine solche Arbeit zum Abschluss zu bringen.

Über den Autor:

Zum Glück nicht mit zwei linken Händen geboren, aber trotzdem vorwiegend am Schreibtisch tätig. Der Muskelkater vom Tragen und Aufstellen der Baumstämme war nach ein paar Tagen auch verflogen. Geblieben sind tolle Erfahrungen und Eindrücke einer faszinierenden Arbeitswelt. Bei mindestens 40 Jahren Bauzeit kann die eine oder andere Wiederholung durchaus folgen.

Campus Galli - Jan Lustig - Text-Creator.com
Der Autor beim Campus Galli Gerüstbau